Interview – Mit Mia Florentine Weiss

Der Nabel der Welt – Mia Florentine Weiss

Auf der Sonderausstellung zeigt die Künstlerin Foto- und Videodokumentationen sowie Objekt und Installationskunst von weltweiten Performances zwischen 1999 – 2015.

Die Pegasus-Skulptur, von Mia Florentine Weiss ist wohl das bekannteste Werk der Künstlerin, mit dem sie aus aktuellem Anlass den Puls der Zeit getroffen hat.

vom 13. November 2015 bis zum 03. Februar 2016
im SENCKENBERG Naturmuseum
Frankfurt am Main

Senckenberganlage 25
60325 Frankfurt

Kevin Underwood sprach mit der Künstlerin Mia Florentine Weiss.

Kevin Underwood:
Frau Weiss, Sie sind in Würzburg geboren und auch aufgewachsen, welche Dinge haben Sie in ihrer Kindheit / Jugend geprägt?

Mia Florentine Weiss:
Ich komme aus einem kreativen Haushalt – meine Mutter ist Designerin/Malerin und hat in Essen an der Folckwangschule studiert. Ich war als Kind schon bei Kunstevents dabei und unser Haus war ein offenes Atelier für Gleichgesinnte. Wir Kinder kochten Hexensuppe und spielten mit allem, was wir in die Finger bekamen.

Kunst und Literatur waren die Säule meiner Erziehung. Die Sprache als Schwert – die Kreativität als Motor und Ventil. Meine erste Installation war eine weiß lackierte Barbiepuppe, der ich den Kopf kahl rasiert hatte mit amputierten Armen. Sie war auf eine Eisenplatte montiert und hatte ein Loch im Bauch durch das unendlich viele Drähte hindurch liefen und in einer runden Platte, die den Uterus Mutter Erde symbolisieren sollte, endeten.

Mein Manifest dazu lautete: Der Mensch – auf der Erde geboren, auf der Erde zu Hause, von der Erde genährt – auf ewig durch sich selbst zerstört…das war vor fast 25 Jahren. Für die letztjährige Biennale in Venedig habe ich eine Dermoplastik eines weißen, toten Pferdes mit überdimensionalen Eisenflügeln versehen, die aus objéts trouve eine apokalyptische Collage unserer Welt darstellen. Der Text dazu gleicht dem aus meiner Kindheit: The human being – born into this world – at home on earth – always and forever destroyed by his own curse!

Kevin Underwood
Was war ihr erster Berufswunsch?

Mia Florentine Weiss:
Designerin – wie meine Mutter. Auch wenn ich Anfangs gar nicht wusste, was das eigentlich ist – ein Gefühl war damit verbunden, dass in mir Sehnsucht weckte…ein Satz meiner Mutter prägte mich besonders: Kunst fängt da an, wo der Rapport aufhört!

Mia Florentine Weiss
Fotocredit: Mia Florentine Weiss

Kevin Underwood
Sie gingen das erste Mal mit 19 Jahren auf Weltreise. Warum zog es Sie raus in die Welt?

Mia Florentine Weiss:
Goethe sagt in seinem reisenden, sich bildenden Wilhelm Meister: „Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß was ich leide“ …bei mir wurde sie zur Sucht. Mit 12 meldete ich mich zum Austausch nach London an, mit 16 verbrachte ich die 10. Klasse des Gymnasiums in Australien und nach dem Abitur die Weltreise, die den Grundstock für mein Protection Project bildete – ich würde mich von Anbeginn als Spurensucherin verstehen, die in fremden Kulturen und anderen Ländern den Reiz für Dialog aber auch den bipolaren Gegensatz sucht und findet. Ich gehe da hin, wo es weh tut oder mich berührt. Grenzgang. Zeitgeist als Kompass. Kunst als Kommunikationsmittel für den Instinkt. Jede meiner Performances ist sichtbar gewordenes Gefühl.

Kevin Underwood
Warum und wie ist das Projekt „What Is Your Place Of Protection“ entstanden?

Mia Florentine Weiss:
Was ist der größte gemeinsame Nenner von uns Menschen? Wie leben und lieben wir in unterschiedlichen Kulturkreisen? Was gibt uns Geborgenheit? Die Suche nach der verlorenen Heimat – heute aktueller denn je im Hinblick auf die Flüchtlingsfrage bzw. die geochronologischen Veränderungen auf der Erde, die zukünftig immer mehr Menschen zu Nomaden werden lassen – als sozio-kulturelle Frage im platonischen Sinne ist die Ambivalenz von „Protection“ für mich mein Leitmotiv, dass mich seit mehr als einer Dekade beschäftigt…

Ich halte es mit dem Grundgesetz: Die Würde eines Menschen ist unantastbar! – I am a warrior for love!

Kevin Underwood
Warum sind Schutzräume für Sie wichtig?

Mia Florentine Weiss:
Was haben wir sonst? Das Spektrum reicht von tatsächlichen Schutzräumen in Israel in jeder Wohnung, über Bunker, Internetplattformen, wo man sich outen kann über metaphorische Aspekte in Form von Menschen, Orten, Wünschen, Sehnsüchten…eben einer allgemein gültigen Gleichung, wo und wie wir uns geborgen fühlen in einer Welt, wo die Ungeborgenheit immer grösser zu werden scheint

…What is your place of protection? Heimatlosigkeit, die Suche nach einem Platz der Geborgenheit, eine Welt zwischen Liebe und Hass – damit setze ich mich auseinander. Ein Thema ist zum Beispiel das „Cocooning“, das Einspinnen und sich gegen die Außenwelt Verpuppens. Es ist mittlerweile ein gesellschaftliches Sujet und an amerikanischen Universitäten in Form der „Safe Spaces“ im Netz sowie außerhalb der digitalen Datenbahnen genauso normal geworden wie die Absurdität, die eine solche Sehnsucht mit sich bringt. Der Wunsch nach dem Ort, wo wir Menschen „frei sprechen und handeln dürfen“, ohne Verunglimpfung oder Verfolgung, scheint Realität gewordene Utopie geworden zu sein….

Mia Florentine Weiss
Fotocredit: Mia Florentine Weiss

Kevin Underwood:
Sie gehen in der Kunst über Grenzen, was reizt Sie Grenzen zu überschreiten? Überreiten Sie auch gerne Privat Grenzen?

Mia Florentine Weiss:
In der Kunst gibt es keine Grenzen – Tag und Nacht verschmilzen und ich (er)lebe ein exentielles-extatisches Atelierarbeiten. Vor allem vor Ausstellungsvorbereitungen, Messen oder in extremem Schaffungsprozessen gilt die Devise: Schlafen kann ich wenn ich tot bin! Früher war das noch schlimmer – mittlerweile als Muttertier und gereifter Mensch wähle ich das kalkulierbare Risiko.

Damals bin ich aufs Hollywood Sign geklettert und hätte sterben können – das war egal. Es ging nur um die Sache. Heute habe ich mehr Verantwortung, die ich versuche im Sinne meiner Eltern an mein Kind weiterzugeben. Ein Balanceakt zwischen Flügeln und Wurzeln – aber da kenne ich mich ja aus 😉

Für mich ist Pegasus im doppelten Sinne Heimatlos – entwurzelt in der Heimat – vogelfrei in der Fremde. Wie derzeit ca. 60 Millionen Flüchtlinge weltweit!

Kevin Underwood
Was hat es mit ihrer Pegasus-Skulptur auf sich? Welche Bedeutung hat diese Skulptur für sie persönlich?

Mia Florentine Weiss:
Pegasus ist ein Hybrid – er steht zwischen Himmel und Erde. Auf meiner über 10jährigen performativen Reise habe ich Menschen unterschiedlicher Kulturkreise nach ihrem persönlichen Schutzraum befragt und die Auswahl der 55 signifikantesten Antworten in Form einer multimedialen Videoinstallation inszeniert.

Während den weltweiten Performances haben mir diese Menschen neben ihren Antworten auch Gegenstände mitgegeben, um sie in das Flügelpaar des PEGASUS einzubauen – die Dermoplastik eines weißen Pferdes mit Leucht-Flügeln. In der griechischen Mythologie ist der Pegasus die Quelle aller Weisheit und das Sinnbild für Dichter & Denker.

Die apokalyptische Skulptur symbolisiert die Unschuld aber auch den Terror unserer Zeit in einem bipolaren Spannungsfeld: Ein Flügel symbolisiert Hoffnung (Frieden), sein Gegenstück den Abgrund unserer Welt (Krieg). Für mich ist Pegasus im doppelten Sinne Heimatlos – entwurzelt in der Heimat – vogelfrei in der Fremde. Wie derzeit ca. 60 Millionen Flüchtlinge weltweit!

Mia Florentine Weiss
Fotocredit: Mia Florentine Weiss

Kevin Underwood:
Haben Sie eine neue Weltanschauung bekommen, aufgrund ihrer Reisen und gemachten Erfahrungen?

Mia Florentine Weiss:
Nein – eher bestätigt. Ich halte es mit dem Grundgesetz:
Die Würde eines Menschen ist unantastbar!
I am a warrior for love!
Zusammen mit dem kategorischen Imperativ „Handle stets nach der Maxime von der du selbst wollen kannst, dass sie allgemein gültige Gesetzmässigkeit sei“ reflektiert das meinen Seelenspie-gel am besten!

Kevin Underwood:
Was geben sie ihrem Kind mit auf dem Lebensweg?

Mia Florentine Weiss:
Wings & Borders.
Never give up!
Be true to yourself!

Kevin Underwood:
Was genau wollen Sie mit „Muttertier“ aussagen, wie kam es zu diesem Kunstwerk?

Mia Florentine Weiss:
Das „Muttertier“ als Quelle des Lebens inmitten anatomischer Anomalien, die die Diskrepanz zwischen Sein und Nichtsein zeigt, habe ich aus einem tiefen emanzipatorischen Grundbedürfnis gemacht. Das bin zwar ich, aber ich bin hier der Prototyp einer Frau, die es geschafft hat zu gebären, zu überleben und zu arbeiten. Maschine Mensch? Ich selbst bin weder eine schlechte Mutter, weil ich nicht aufhöre zu arbeiten, noch bin ich eine schlechte Künstlerin, weil ich ein Kind habe. Ich bin das lebende Beispiel dafür, dass beides geht.

Mia Florentine Weiss
Fotocredit: Mia Florentine Weiss

Kevin Underwood:
Sie sagen, Die Kunst wird von Männern dominiert. Warum denken sie ist das so? wie wirken sie dagegen?

Mia Florentine Weiss:
Sammler, Mäzen, Kuratoren – meistens Männer. In der Momo hängen nicht mal 10 % Prozent weibliche Künstlerinnen und hat Marina Abramovic oder Cindy Sherman einen Stellenwert wie Damian Hirst oder Jeff Koons? Oder welcher weibliche Kunstsuperstar spielt in derselben Liga wie Richter? Es ist noch viel zu tun – aber ich bin ein sehr provokant weibliches Beispiel für eine Vollblutfrau. Ich habe keine Glatze und trage keinen schwarzen existentialistischen Simone de Bouvoir Style – ich trage, was ich will und bin blond. Ich kann mit Klischees spielen, um sie am Ende zu durchbrechen.

Kevin Underwood:
Wie geht es weiter mit Mia Florentine Weiss?

Mia Florentine Weiss:
Mein Kalender ist gut gefüllt. Art Karlsruhe, eine Einzelausstellung in Berlin, eine Benefiz-Auktion durch Sotheby´s in Frankfurt, Art Basel. Dazwischen konzentriere ich mich auf mein neues Atelier in Berlin, direkt an der Spree gelegen.

Weitere Informationen über die Künstlerin finden sie auch unter:
http://www.mia-florentine-weiss.com/

Mia Florentine Weiss

Fotocredit: Mia Florentine Weiss

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